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Zum 31. – Der 23. April 2016 – Ein Grund zum Feiern? Reinheitsgebot & Bier, Wunsch & Realität

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Wer am Thema interessiert ist hat es sicher schon, der Rest wird es mit großer Wahrscheinlichkeit in den nächsten Tagen mitbekommen: Das Jahr 2016 präsentiert uns ein großes rundes Jubiläum. Man mag es kaum glauben, aber die Geburtstagstorte bräuchte Platz für 500 Kerzen. Wobei eine Torte aber schon rein geschmacklich völlig unpassend wäre. Passender untergebracht wäre die Romantikbeleuchtung auf einem Spanferkel oder auf einem Leberkäse oder akkurat um eine deftige Brotzeit garniert. Um was es eigentlich geht? Ganz einfach, geht mal zum Kühlschrank oder in den Keller oder zum Nachbarn und organisiert euch eine Flasche Bier. Bei Letzterem natürlich fragenderweise, ich will hier ja keinen Streit zur Festlichkeit anzetteln. Wenn ihr jetzt das gelobte Getränk in den Händen haltet, fehlt nur noch ein scharfer Blick eurerseits auf das Etikett und mit hoher Wahrscheinlichkeit steht da unter anderem drauf: „Gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot“ oder „Gebraut nach dem bayerischen Reinheitsgebot von 1516“. Dürfen jetzt nur die Bayern feiern? Was ist das überhaupt, das Reinheitsgebot? Was sagt es aus? Wieso steht da einmal „deutsches“ und einmal „bayerisches“? Und wieso überhaupt 1516?

Der Bekanntheitsgrad des Wortes „Reinheitsgebot“, in Verbindung mit der Herstellung von Bier, dürfte im deutschsprachigen Raum auf bibelähnlichen Höhen liegen. Ähnlich verbreitet sind sicher die Meinungen, wobei sich diese sicher in die üblichen drei Kategorien einteilen lassen. Der größeren Menge dürfte das Reinheitsgebot schlichtweg egal sein, Bier schmeckt oder schmeckt eben nicht, völlig unabhängig von irgendwelchen Geboten. Dann gibt es aber natürlich noch die, sich gegenüberstehenden, extremen Lager. Für die einen kam das Reinheitsgebot als elftes solches mit Moses vom Berg, für die anderen ist es entweder eine längst überholte, unnötige Vorschrift, oder noch schlimmer, ein reiner Marketing-Gag.

Was hat es also jetzt mit diesem mythisch verklärten Schriftstück, dessen Anhänger teilweise in biblischen Zorn ausbrechen, wenn man es in Frage stellt, auf sich?
Ich will hier nur ganz kurz und sehr grob auf die Fakten eingehen, bitte nutzt zur Weiterbildung die weiter unten angegebenen Links! Eine persönliche Recherche Eurerseits, mit eigenen Fragen und anschließender Meinungsbildung, ist übrigens, wie immer, sehr zu empfehlen.

Das Wort „Reinheitsgebot“ deutet scheinbar an, es ginge um das eine Gebot, welches die einzig wahre „Reinheit“ gebietet. Rein und sauber soll es sein, das Bier. An und für sich auch recht löblich, wird davon doch eine nicht ganz unerhebliche Menge getrunken. Denkt man an die frühere Angewohnheit, allen Müll in den örtlichen Bach zu entsorgen, scheint es offensichtlich sinnvoll zu sein, einige Zeit vor der Wasserentnahme aus dem Bach die Müllentsorgung in Selbigen auszusetzen. Für mich der schönste, oft zitierte, aber natürlich urkundlich nicht nachweisbare Spruch, ist dieser: „Der Herr Bürgermeister gibt bekannt, dass am Mittwoch Bier gebraut wird und deshalb ab Dienstag nicht mehr in den Bach geschissen werden darf.“ (Quelle) Eine, dank ihrer Deutlichkeit, sofort verständliche (und natürlich vollumfänglich zu unterstützende) Aussage! Nur leider taucht weder der Bach noch der Stuhlgang noch die unheilvolle Verbindung der Beiden im Reinheitsgebot auf. Auch gibt und gab es neben diesem einen Reinheitsgebot noch andere Schriftstücke und Gesetze, welche teils früher und teils auch später Gültigkeit besessen haben und auch besitzen. Die eigentliche Reinheit des Bieres aus Sorge um den Konsumenten (Verbraucherschutz) tritt hier aber oft in den Hintergrund.
Im positiven Fall werden die Reinheitsbedenken durch die Lebensmittelversorgung (Bier nur aus Gerste, Weizen für Brot) oder durch Bedenken vor schlechtem Bier, basierend auf allerlei berauschenden Pflanzen (beruhigender Hopfen statt berauschender Pflanzen – wir sind ja schließlich in Bayern) verdrängt. Im negativen Fall geht es um Steuergesetzgebung, wirtschaftliche Interessen, Preisvorgaben, Protektionismus usw., also schlicht und ergreifend um Machterhalt der jeweiligen Machthaber und/oder Gesetzgeber.

Aber schön der Reihe nach:

Solltet ihr im Folgenden auf Fehler stoßen, dann teilt mir diese bitte (mit Quelle) mit. Das Thema ist irgendwie recht verschwurbelt und auf den meisten Seiten werden die Informationen doch einfach nur (ab-)geschrieben ohne über den Inhalt nachzudenken oder diesen anhand von Quellen zu prüfen. Auch ist es schwer, genau herauszufinden, wann jetzt was genau erlaubt oder verboten war.

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass die Herstellung von Bier natürlich nicht nur auf Bayern bzw. Deutschland beschränkt ist.

Bier bzw. bierähnliche Getränke begleiten die Menschheit schon seit einiger Zeit (Quelle). Die Sesshaftwerdung des Menschen mit der logischen Folge des Ackerbaus (oder war es anders herum?) führte im nächsten Schritt zu Brot und Bier. Man könnte sage, zwei Kulturkonstanten.
Etwas bekannter dürften die Sumerer sein, welche sich schon im 3. Jahrtausend v. Chr. eingehend mit Bier beschäftigten. Eindrucksvolles Zeugnis ist das Gilgamesh-Epos, im Moment das älteste Werk der Weltliteratur. Recht viel schöner kann man es heute aber auch nicht ausdrücken: „Iß das Brot, Enkidu, das gehört zum Leben. Trinke das Bier, wie es im Leben Brauch ist! Enkidu aß das Brot, bis er satt war. Er trank das Bier, sieben Krüge voll. Sein Herz frohlockte und sein Angesicht strahlte. Er wusch sich den zottigen Leib mit Wasser, salbte sich mit Öl – und ward ein Mensch.“ (Gilgamesh-Epos, zweite Tafel. Hier eine passende Übersetzung mit Bier. Allgemeiner geht es auch mit „Rauschtrank“. Auf jeden Fall lässt sich herauslesen, dass ein gewisser (Bier-)Rausch zum Menschen bzw. sogar zur Menschwerdung dazugehört. Logisch, dass man sich deshalb auch noch weitere Gedanken über das wichtige Getränk gemacht hat. So zum Beispiel im Codex Hammurapi. Dieser macht damit dem Reinheitsgebot den oft genannten Titel „ältestes Lebensmittelgesetz der Welt“ streitig.

Natürlich ließen sich auch die Germanen nicht lumpen und nach Tacitus war das Hauptgetränk „eine Flüssigkeit aus Gerste oder Weizen, in eine gewisse Ähnlichkeit mit Wein umgefälscht“ (Quelle)

Im Europa des Mittelalters wurde Bier in Klöstern und auch im Haushalt gebraut. Irgendwann erkannte die Obrigkeit dann die Wichtigkeit des Gebräus, erhob Steuern und vergab Braurechte. Der Schutz des Verbrauchers war aber bestenfalls ein Nebenprodukt dieser Kontrolle, diente diese doch hauptsächlich der geregelten Steuereinnahme.

Seit dem 12. Jahrhundert (Augsburg 1143 bzw. 1156) gab es, überwiegend im heutigen Bayern, regionale Vorschriften, welche sich mit Bier beschäftigten.

1447 war in München eine Verordnung gültig, nach der nur Gerste, Hopfen und Wasser erlaubt waren.

1493 wurde für das Herzogtum Bayern-Landshut eine Vorschrift erlassen, welche nur Malz, Hopfen und Wasser erlaubt.

Berufen wird sich heute auf die bayerische Landesordnung vom 23. April 1516, festgelegt in Ingolstadt und gültig für das Herzogtum Bayern. Neben der Festsetzung des Bierpreises werden die Inhaltsstoffe auf „Gerste, Hopfen und Wasser“ (wie schon in der Verordnung von 1447) begrenzt. Wohlgemerkt Gerste und nicht Gerstenmalz, Hefe war damals zwar nicht unbekannt aber unverstanden und wurde deswegen nicht extra erwähnt. Das bayerische Herzogtum entstand nach dem Landshuter Erbfolgekrieg aus den bayerischen Teilherzogtümern und ist somit ein direkter Vorgänger des Königreichs Bayern. Sicher ein Grund, warum gerade diese Verordnung als Geburtsstunde des „bayerischen Reinheitsgebotes“ auserkoren wurde.

1551 war mit einem herzoglichen Erlass dann aber schon wieder Schluss mit der „Reinheit“ und unter anderem waren Koriander und Lorbeer erlaubt.

1616 durften aufgrund einer Bayerischen Landesverordnung dann auch Wachholder und Kümmel verwendet werden. Grundsätzlich wäre hier einmal eine Sammlung aller „Bier-Verordnungen“ interessant.

Erst 1868 wurde im Malzaufschlagsgesetz in Bayern die Zutaten gesetzlich auf Hopfen und Gerstenmalz beschränkt!

1906 übernahm dann das Deutsche Reich das bayerische Reinheitsgebot und somit war es im gesamten Reichsgebiet gültig, ab hier könnte man von einem deutschen Reinheitsgebot sprechen. Hier wird öfter behauptet, dass dies aus „Angst“ vor englischen Bieren erfolgte. Da diese ab diesem Zeitpunkt vom Markt ausgeschlossen waren, bedeutete die Regelung natürlich eine Stärkung der deutschen Brauereien. Wer hier mehr Hinweise hat – vielen Dank!

Nach dem ersten Weltkrieg und Gründung der Weimarer Republik 1918 trat auch Bayern in diese ein. Der Freistaat ließ sich zusichern, dass auch in Zukunft die Bierherstellung in Bayern auf Basis der strengeren bayerischen Auslegung des Reinheitsgebotes, ohne Zucker und Zuckerkulör, erfolgt. Auch waren und sind in Bayern keine Ausnahmegenehmigungen zur Herstellung (in Bayern) von nicht den bayerischen Regelungen entsprechenden Bieren möglich. Angeblich wurde der Eintritt in die Republik von der Genehmigung dieser Rechte abhängig gemacht. Auf jeden Fall wurde zu der Zeit das Wort „Reinheitsgebot“ zum ersten Mal erwähnt (Quelle). Ein nach dem „deutschen Reinheitsgebot“ gebrautes Bier war also in Bayern kein Bier.

1923 änderte sich der Name dann in „Deutsches Biersteuergesetz“. Derart unsexy wurde es dann auch noch unlogisch. Taucht doch hier nicht nur erstmals die Hefe auf, sondern wird diese auch gleich für die Trennung der Zutaten für untergäriges und obergäriges Bier verwendet. Untergäriges darf nur mit Gerstenmalz, obergäriges Bier dagegen auch mit anderen Malzsorten sowie Zucker gebraut werden. Gibt es hier irgendwie eine logische Ursache oder ist das einfach der Kreativität der Steuergesetzgebung geschuldet? Ähnlich wie Esel, Muli und Maultier? In Bayern, Baden und Württemberg blieb bei der Herstellung von obergärigen Bieren die Verwendung von Rohr-, Rüben oder Invertzuckers auch weiterhin verboten.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde 1952 dieses Biersteuergesetz überarbeitet. Bayern beharrte weiterhin auf das „absolute Reinheitsgebot“, also keine Verwendung von Zucker. Im nun Bundesrepublik Deutschland genannten Teil des ehemaligen „Dritten Reiches“ durfte also nur Bier, welches entsprechend gebraut worden war, auch als Bier vertrieben werden. Ich habe gelesen, dass ausländische Hersteller deswegen für den deutschen Markt extra Biere brauten, welche diesem „Biersteuergesetz“ entsprachen. Interessant ist auch, dass außerhalb von Bayern Zucker bei der Bierherstellung erlaubt war und diese Bier auch nach Bayern „exportiert“ wurde. Bayern erreichte schließlich, dass diese zuckerhaltigen Biere in Bayern nicht mehr als Bier vertrieben werden durften (Quelle ). Eine ganz willkommene Regelung für die bayerischen Brauer.

Seit 1968 ist, für nach „deutschem Reinheitsgebot“ gebrautes Bier, auch Hopfenextrakt zugelassen.

Nach einer Klage der EWG-Kommission, bestätigte 1984 der Europäische Gerichtshof, dass diese Regelung gegen den freien Warenaustausch verstoße. Ab 1987 gilt das Reinheitsgebot nur noch für in Deutschland gebrautes Bier, welches auch für den deutschen Markt bestimmt ist. Für den Export bestimmtes Bier muss das Biersteuergesetz nicht einhalten. Seitdem dürfen auch ausländische Biere, welche nicht nach dem Gesetz gebraut worden sind, als Bier in Deutschland verkauft werden. Deutsche Brauer dagegen müssen sich an das deutsche Recht halten und die bayerischen Brauer an das strengere bayerische Recht, wenn sie das Bier in Deutschland verkaufen.
Das führte zu einer umfangreichen Marketingaktionen für ein „Deutsches Reinheitsgebot“ im Zuge dessen ausländische Biere mit „Chemiebier“ gleichgesetzt wurden (Quelle)

1993 wurde das Biersteuergesetz wieder überarbeitet. Anscheinend hat man sich der vielen Änderungen besonnen und geht nun von keiner Endgültigkeit mehr aus, heißt das Gesetz jetzt doch „vorläufiges Biergesetz“ und regelt die Bierherstellung und das „Reinheitsgebot“. Für die Steuer gibt es seitdem das Biersteuergesetz. Namen sind ja bekanntlich Schall und Rauch, wie steht es jetzt mit der Reinheit? Neben allerlei Ausnahmen sind jetzt auch Farbebier, Bier kann jetzt z.B. eingedunkelt werden, und Polyvinylpolypyrrolidon (PVPP), ein Klär- bzw. Filtermittel, erlaubt.

Seit 2005 regelt die Bierverordnung, was ein Bier, hergestellt nach dem „vorläufigen Biergesetz“, ist und die „Durchführungsverordnung zum Vorläufigen Biergesetz“ was enthalten sein darf.

Aktuell ist also das „Vorläufige Biergesetz“ von 1993 entscheidend, wenn es um das Brauen von Bier geht. Zum Zwecke der Reinheit sei noch erwähnt, dass zur Bierherstellung 60 Zusatzstoffe verwendet werden dürfen. Wohlgemerkt, neben den, auf dem Etikett vermerkten und bekannten Zutaten Hopfen, Malz, Wasser und Hefe.

Mit der Zeit hat sich also nicht nur das Land, sondern auch die Auffassung darüber, was als Bier bezeichnet werden darf immer wieder geändert. Eine komplett durchgängige, 500 Jahre alte, Vorschrift ist nur bedingt zu erkennen.

Weil wir aber schon mal beim Thema sind, was hat es eigentlich mit dem in Bayern so beliebten Weißbier auf sich? Obwohl Weizen zum Bierbrauen seit 1516 in Bayern eigentlich verboten war, wurde das Privileg Weißbier zu brauen 1548 an ein Adelsgeschlecht verliehen. 1602, nach dem Aussterben dieses Geschlechtes, kam das Privileg dann an die Wittelsbacher (Herzog Maximilian I.) und somit an die Herzöge von Bayern. Diese nutzten das erhaltene Weißbiermonopol, bauten Weizenbierbrauhäuser und erfreuten sich an den Einnahmen. (Quelle). Brauen mit Weizen durften, in Bayern, also nur die Herzöge von Bayern. Das Problem der Unvereinbarkeit von Weizen-Bier-brauen mit dem Reinheitsgebot von 1516, taucht aber, passend zum Jubiläum, heuer wieder auf. Man mag es kaum glauben, aber das bayrischste aller Biere, das Weißbier, entspricht nicht dem bayerischen Reinheitsgebot von 1516! Manche Brauereien werben aber auch auf ihren Weißbierflaschen mit dem „bayerischen Reinheitsgebot von 1516“. Es scheint sich aber eine kleine Etiketten-Korrektur zu ergeben. Wie wäre es denn z.B. mit „gebraut nach dem vorläufigen Biergesetz von 1993“ oder mit, für einen Bayern wahrscheinlich noch schlimmer, „gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot“?

Wenn man die Fakten einfach mal durchgeht, stellt man folgende Punkte fest:

Die Bezeichnung „Deutsches Reinheitsgebot“ ist schwierig. Den Begriff an sich gibt es erst seit den 1980er Jahren, wobei es für Deutschland natürlich schon früher Gesetze für die Herstellung von Bier gab. Möchte man hier einen Geburtstag feiern, dann kommt es natürlich drauf an, welches „Deutschland“ man nimmt. Vielleicht das Deutsche Reich im Jahr 1906? Oder doch die Weimarer Republik 1923 (Deutsches Biersteuergesetz).
Oder die Bundesrepublik 1952 oder das „wiedervereinigte“ Deutschland mit dem „vorläufigen Biergesetz“ von 1993? Na, welcher Geburtstag darf es denn sein?
Einer ist es auf jeden Fall nicht, der 500. Geburtstag. Dazu muss man sich nur eine Karte aus der Zeit ansehen, Stichwort: „Flickenteppich“. Die bayerische Landesordnung von 1516 war natürlich nur im damaligen Herzogtum Bayern gültig, der Rest vom Gebiet des heutigen Bayerns und natürlich der Rest vom heutigen Deutschland war davon unberührt. Nachdem Bayern aber schon ein Teil von Deutschland ist, könnte man sich hier schon eine gewisse Kontinuität zusammenphilosophieren. Ein Blick auf die Zutaten sollte die Vorfreude auf die Feierlichkeiten dann aber endgültig beenden. „Gerste, Hopfen und Wasser“ vs. „Hopfenextrakt, Malz, Wasser und Hefe“.
Mit der reinen Gerste braut heute keiner mehr, gebraut wird mit gemälztem Getreide (je nach „Gärigkeit“). Anstatt reinem Hopfen wird häufig Hopfenextrakt verwendet, welcher noch weitere Stoffe beinhalten kann (Quelle). Die Hefe fiel weg, weil man damals noch nicht wusste, was das eigentlich ist. Das trifft übrigens auch auf die heute erlaubten Zusatzstoffe zu, welche man früher aber weder kannte, noch verwendete. Etwas übertrieben gesagt, bleibt als einziger gemeinsamer Nenner das Wasser.

Das „bayerische Reinheitsgebot von 1516“ ist zumindest urkundlich nachweisbar und auch der Begriff an sich existiert schon länger. Aber auch hier gibt es keine 500-jährige Durchgängigkeit, wie z.B. der Herzogliche Erlass von 1551 (Koriander und Lorbeer erlaubt) zeigt. Bier hat aber in Bayern einen besonderen Stellenwert, Bier ist hier ein Lebensmittel. Also eigentlich nicht verwunderlich, dass die ganze Geschichte hier etwas ernster genommen wird. Bayerische Sonderwege hat es immer gegeben und so auch beim Bier. Zu erwähnen ist hier unter anderem das Verbot von Rohr-, Rüben- oder Invertzucker bei der Bierherstellung. Es gibt also ein „bayerisches Reinheitsgebot von 1516“ ob die modernen Biere aber danach gebraut werden ist bestenfalls Sache der Interpretation. Von einem 500. Geburtstag zu sprechen ist aber schon eine etwas geschönte Darstellung, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Soweit so gut. Oder vielleicht auch schlecht? Bevor ich meine persönliche Meinung zu dem Thema preisgebe, noch einige informative Links.

Zur Einstimmung mal der allgemeine Artikel in der Wikipedia.

„Das Reinheitsgebot nervt“.

Sieben Mythen zum Reinheitsgebot.
Unbedingt lesen, bieten die beschriebenen Mythen doch eine wunderbare Diskussionsgrundlage und einen schönen Einstieg in das Thema. Unter anderem wird erklärt, warum das Reinheitsgebot keine Hilfe sondern eher schädlich für die deutschen Brauer sein könnte.

Elf Gründe „gegen“ das Reinheitsgebot.

Weiter geht es mit 13 Irrtümern rund um das Reinheitsgebot.

Ein sehr guter Artikel, der unter anderem erwähnt, dass im Moment die Hefe entscheidet welche Malze verwendet werden dürfen, obwohl 1516 von Hefe gar keine Rede war (Erklärung auch hier). Untergärig oder obergärig ist also entscheidend, welche Inhalte „rein“ sind?! Und, dass das Sprüchlein auch auf Weizen-/Weißbierflaschen steht, wobei 1516 Weizen doch ausdrücklich nicht erwähnt wurde. Die oben erwähnte Etikettenkorrektur findet sich auch hier. Unbedingt lesen!

Hier nochmal unter anderem zur Problematik, dass die verwendete Hefe über das „reine“ Malz entscheidet. Zitat: „Ein Roggenbier ist also ein Bier, wenn – und jetzt kommt der wichtige Punkt! – mit obergäriger Hefe vergoren wurde. Untergärige Hefe und Roggenmalz zusammen wären rein rechtlich kein Bier“.

Ein schöner Artikel in Bezug auf Craft-Beer.

Gerne auch eine österreichische Sichtweise.

Die Seite ist zwar technisch nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit und vielleicht etwas frankenpatriotisch, der Inhalt macht das aber in jedem Fall wieder wett.

Natürlich gibt es auch eine offizielle Seite (Deutscher Brauer-Bund e.V.) zum Reinheitsgebot.

Der Verein „Private Brauereien Bayern“ beschäftigt sich auf seiner Website unter anderem natürlich auch mit dem Reinheitsgebot.
Wen es, z.B. für eine Feldforschung a.k.a Biergartentour, interessiert, welche Brauereien es im Umkreis so gibt.

Zum Abschluss eine eigentlich ganz vernünftige Stellungnahme von Maisel&Friends, der „Craft-Beer-Abteilung“ der Brauerei Maisel.

Schöner Artikel mit Blick in die Zukunft und Vorschlägen.

Ich behaupte mal etwas provokant, dass die meisten Menschen, die stolz auf das Reinheitsgebot sind, gar nicht wissen um was es da eigentlich geht. Und wenn sie es wissen, profitieren sie entweder direkt davon oder sind einer bestimmten Gruppe zugehörig, deren Zusammenstellung eine unglückliche Mischung aus Stammtisch-Patriotismus und zu viel Bier ist. Warum sollte jemand sonst stolz auf etwas sein, was ihn in seiner Freiheit einschränkt? Da wurden irgendwann mal, aus bestimmten Gründen, bestimmte Zutaten, von der Obrigkeit(!), festgelegt und jetzt freuen sich alle und keiner (nur wenige) stellen es in Frage? Ich verbiete es Dir – Ja, bitte!? Vielleicht ist die ganze Angelegenheit auch einfach ein typischer Fall von „einer schreit, keiner denkt und alle schreien mit“? Es muss ja irgendeinen Grund für die Annahme geben, dass nur Bier nach dem Reinheitsgebot rein und somit gut und alles andere unrein und somit böse ist. Vielleicht ist es auch das Bedürfnis des Menschen nach einfachen Strukturen, nach schwarz und weiß, nach rein und unrein. Wie auch immer, ein gewisser (Obrigkeits-)Glaube ist bei dieser Lebensphilosophie sicher hilfreich.

Mit der Qualität bzw. dem Geschmack kann es ja eigentlich nichts zu tun haben. Die Palette wässriges, nicht schmeckendes Dosenbier, welches auch nach mehreren Litern keinen zufriedenstellenden Zustand erreichen lässt, wird genauso nach dem Reinheitsgebot gebraut wie das zweifelhafte Bier irgendeiner Brauerei, welches schon nach dem ersten Schluck gewisse dumpfe Wellen das Rückenmark entlang in Richtung Kopf schickt. Folgerichtig bedeutet das Nichtbeachten des Reinheitsgebotes aber auch nicht automatisch, dass das Gebräu in einer nebligen Nacht auf dem Blocksberg mit Fliegenpilz, Bilsenkraut und Stechapfel von schlecht gelaunten Hexen gebraut wird, die vorher natürlich in den Bach geschissen haben.

Was mich unter anderem aufregt, ist die Tatsache, dass die Großbrauereien mit dem Slogan „Reinheitsgebot“ mit Tradition und Handwerk zwei Dinge vortäuschen, welche bei den modernen Industriebieren definitiv nicht mehr vorhanden sind. Vom Geschmack mal völlig abgesehen. Wenn schon der 500. Geburtstag gefeiert wird, dann soll doch bitteschön auch gebraut werden, wie vor 500 Jahren. Also, kein Hopfenextrakt, keine Hilfsstoffe- oder Filterstoffe wie z.B. Polyvinylpolypyrrolidon, kein Farbebier, keine genetisch veränderten Zutaten und natürlich ausschließlich Bio-Produkte und keine pestizidbelastete Gerste und Hopfen und natürlich nur handwerkliche Herstellung und keine Brausoftware. Alles andere ist reiner Selbstbetrug. Unter diesen Umständen wäre ich dann auch außerordentlich stolz auf das Reinheitsgebot.

Das Schlimmste ist dann aber der zu Schau gestellte Stolz der großen „Brauereien“ auf das eigene traurige Produkt und der noch viel traurigere Konsument, der das alles auch noch gut findet und neben dem Gebräu auch noch stolz auf das Reinheitsgebot ist. Wo bitteschön ist denn der aufregende geschmackliche Unterschied zwischen den „großen“, nach Reinheitsgeboten gebrauten Bieren und den außerhalb Deutschlands gebrauten Pils- und Lagerbieren? Der einzige Unterschied ist, genau, der Hinweis auf das Reinheitsgebot, die letzte Ausnahmestellung. Das ist mir einfach zu viel, da könnte ich verzweifeln.
Innerhalb des Reinheitsgebotes gäbe es aber eine schier endlose Anzahl an Geschmacksmöglichkeiten, wenn einfach mal eine andere Hefe-, Malz- Hopfensorte verwendet werden würde. Dazu zitiere ich mal: „Beim deutschen Brauerbund verweist man darauf, dass es 170 natürliche Sorten von Aromahopfen mit Geschmacksrichtungen wie Grapefruit oder Litchie gebe, 40 Malzsorten, die Bier nach Schokolade oder Karamell schmecken lassen, und 200 Hefestämme. Daraus könne man mathematisch gesehen rund eine Million verschiedene Biere brauen – auf Basis des Reinheitsgebots“ (Quelle). Ja Halleluja! Dann, um Himmelswillen, braut doch auch bitte damit!

Eigentlich kann ich mich im Raum (Nord-)Bayern ja überhaupt nicht beschweren. Es gibt noch eine Vielzahl von kleinen handwerklichen Brauereien mit abwechslungsreichen guten Bieren. Kleine Betriebe, oft noch mit Brauereiwirtschaft und familiär geführt und keine hochindustriellen Bierfabriken welche zu riesigen international tätigen Unternehmen gehören. Wer wirklich Wert auf Bier im Sinne des Handwerks, der Tradition und von mir aus auch des Reinheitsgebotes legt, der unterstützt diese kleinen und kleinsten Betriebe. Größtenteils ist also (noch) alles in Ordnung, wäre da nicht die Neugier auf Neues, die Hoffnung auf mehr und die fade Langeweile, wenn man mal wieder ein Industriebier erwischt hat.

Bin ich jetzt also gegen das Reinheitsgebot? Nein, bin ich nicht. Aber es ist halt auch nur eine Art Bier zu brauen, wie andere auch. Und genau so sollte es auch gehandhabt werden. „Gebraut nach dem Reinheitsgebot von 1516“ soll es natürlich auch in Zukunft noch geben, aber dann halt genau wie früher, wie oben schon beschrieben. Daneben ist aber Platz für andere Arten Bier zu brauen. Wie wäre es z.B. mit Koriander, wie es 1551 schon mal erlaubt war, immerhin feiern wir heuer den 465. Geburtstag des „Bier-mit-Koriander-Reinheitsgebots“? Oder mit Bier „nach belgischer Brauart“? Oder ein englisches/schottisches „Real-Ale“? Oder doch ein original „Germanen-Bier“? Und was ist überhaupt mit dem alten Sumerer Enkidu und seinem „Menschwerdungs-Bier“? Wichtig wäre nur die für alle Sorten(!) verpflichtende Angabe der genauen Inhaltsstoffe!

In dem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen darf man natürlich die Craft-Beer-Bewegung. Nach außen hin Menschen, die Bierbrauen des Bieres wegen und nicht des Gewinns. Ein Großteil dieser Biere hält dann auch, was sie versprechen. Viele im Geschmack und manche auch in der korrekten Einhaltung der Verordnung von 1516. Für die Neugierigen, so sie sich denn probieren trauen, dürfte es eine ganz neue Geschmackswelt sein. Vielleicht führt diese Bewegung ja zu einer Änderung des Einheitsgeschmacks? Auch bekanntere Brauereien haben den Trend ja erkannt und bringen ihre eigenen „Craft-Biere“ auf den Markt. Der Craft-Beer-Bewegung ist es größtenteils zu verdanken, dass verschiedene Hopfensorten oder Bittereinheiten durch ausdrückliche Darstellung auf den Etiketten bekannt werden. Alles in allem wird man dadurch angeregt, Bier als interessantes und vielfältiges Genuss-, ja Lebensmittel zu entdecken und manchen regt es vielleicht auch an selbst einmal zu brauen …

Ach ja, für die Vertreter des Geistes, welche hier in der ausdrücklichen Erwähnung des Bieres in Verbindung mit dem 23. April und der Nichterwähnung eines anderen Jubiläums sich mal wieder der Tatsache des dumpfen Biertrinkers bestätigt fühlen:

„For a quart of ale is a dish for a king“

Von wem? Shakespeare (The Winter’s Tale – Act IV, Scene III) natürlich. 2016 wird sein 400. Todestag „gefeiert“. Vielleicht erlebe ich ja noch die Feierlichkeiten zum Tod bzw. zur Wiederauferstehung eines „echten Reinheitsgebotes“?

Auf gutes Bier.
Prost!

P.S.: Über weitere Infos und eine Diskussion über das heilige Reinheitsgebot würde ich mich sehr freuen. Ganz profane Biertipps nehme ich aber auch gerne an. Vielen Dank.

P.P.S.: Über die leichte Verzögerung, schließlich ist heute der 10. April und nicht der 31. März, bitte ich freundlich hinwegzuschauen. Am besten bei einem Bier!

Edit: Auf ausdrücklichen Wunsch der ordnungsliebenden Blog-Besitzerin habe ich den Artikel jetzt auf den 31.03.2016 zurückdatiert. Nur für den Fall, dass es Fragen gibt. Nein, Zeitmaschinen gibt es nicht.